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Stellungnahme
von Prof. Dr. Ulrich Sieber für den Angeklagten Felix Somm
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P R O F. D R. U L R I C H S I E B E R
Ordinarius für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Informationsrecht
und Rechtsinformatik an der
U N I V E R S I T Ä T W Ü R Z B U R G
Entgegnung auf die Anklage der Staatsanwaltschaft
in dem Strafverfahren vor dem AG München Az. ...
am 12. Mai 1998 in München -
I. Persönliche Vorbemerkung: Zum Grund
dieser Stellungnahme
Herr Felix Somm hat mich gebeten, seine Einlassung zur Anklage vor dem
Amtsgericht München vorzutragen. Wenn ich dieser Bitte nachkomme,
so ist dies für mich ein ungewöhnlicher Vorgang, der kurz begründet
werden soll.
Bei der Verbreitung strafbarer Inhalte im Internet stehe ich normalerweise
nicht auf der Seite der Verteidigung. Kinderpornographie verabscheue ich
ebenso wie wohl alle hier Anwesenden. Computermißbrauch bekämpfe
ich in Deutschland und Europa seit über 20 Jahren: bereits 1984 als
Sachverständiger für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages
bei der Entwicklung des heutigen Computerstrafrechts; dann über viele
Jahre als Experte zur Bekämpfung von Computerdelikten für die
OECD, den Europarat, die Europäischen Kommission, die G7-Staaten und
die Vereinten Nationen; zur Zeit als Gutachter über eine verbesserte
Verfolgung von Kinderpornographie in internationalen Datennetzen für
das Bundesjustiz- und das Bundesforschungsministerium sowie als persönlicher
Sonderberater eines EG-Kommissars. Sie finden mich häufig in der Kooperation
mit dem Bundeskriminalamt, auch als Nebenkläger und Vertreter des
Opfers, aber bisher nie als Verteidiger im Bereich des Computermißbrauchs.
Wenn ich heute gleichwohl hier am Tisch der Verteidigung den Anspruch
von Herrn Somm auf rechtliches Gehör vertrete, so hat dies besondere
Gründe, die nicht nur für die Beurteilung dieses Falles durch
mich maßgeblich sind, sondern auch durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft.
-
Erstens: Mit Felix Somm wird heute die falsche Person angeklagt und für
den Unrat verfolgt, den es im Internet neben positiven Inhalten ebenfalls
gibt: Denn die heute verlesene Anklage beruht auf einem Mißverständnis
von der Funktionsweise des Internet, auf einem Fehlverständnis der
Aufgaben des Angeklagten und auf einer falschen Anwendung von § 5
Teledienstegesetz.
-
Zweitens: Eine Verantwortung von Herrn Somm entsprechend der Anklage und
entgegen § 5 des Teledienstegesetzes wäre für eine wirksame
Bekämpfung der Kinderpornographie in Datennetzen nicht förderlich,
sondern unter rechtspolitischen Gesichtspunkten sogar schädlich. Denn
die Anklage antwortet auf komplexe Herausforderungen mit einer Alibilösung,
die einen unbescholtenen Bürger zum "Sündenbock" für fehlende
nationalstaatliche Lösungen im globalen Cyberspace macht. Sie verhindert
mit Scheinlösungen, daß wir uns endlich der Mühe unterziehen,
verstärkt gegen die wahren Urheber von Kinderpornographie in Computernetzen
vorzugehen.
-
Drittens: Die heutige Anklage ist vor allem auch schädlich für
die Entwicklung des Internet in Deutschland - für den technischen
Fortschritt, die Meinungsfreiheit und den Wirtschaftsstandort Deutschland:
In diesem Strafverfahren geht es auch um die folgenden Fragen: Wollen wir
einen freien grenzüberschreitenden Datenverkehr oder eine staatliche
Zensur, wie sie die chinesischen Regierung erfolglos versucht? Wollen wir
den Anschluß Deutschlands an die internationale Datenautobahn mit
der Schaffung von Arbeitsplätzen oder wollen wir die Verdrängung
der Internet-Anbieter ins Ausland, wodurch Deutschland nicht nur Arbeitsplätze
verliert, sondern auch noch seine letzten rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten
im Cyberspace?
Die heute verhandelten Vorwürfe gegen Herrn Somm führten während
des Ermittlungsverfahrens zu einer vernichtenden Presse im Ausland, vor
allem auch gegenüber dem "Weltpolizisten" Deutschland, der bayerischen
Justiz und dem Technologiestandort Bayern. Amerikanische Fachleute fragten
mich hämisch: "Haben die Deutschen eine neue Filtermaschine für
Pornographie erfunden, von der wir in Amerika noch nichts wissen?" Vor
dem Goethe-Institut in San Francisco wurde deutsches Bier ausgegossen,
um gegen die bayerische Justiz zu protestieren. Namhafteste US-Firmen wandten
sich in der "Global Internet Liberty Campaign" gegen dieses Verfahren in
einem besorgten Brief an Bundeskanzler Kohl. Dies sind allerdings die falschen
Reaktionen und Adressaten. Nicht die Politik, sondern ein unabhängiges
Gericht muß hier entscheiden.
Sie, hohes Gericht, tragen deswegen in diesem Verfahren ebenso wie der
Vertreter der Staatsanwaltschaft eine große Verantwortung: für
den Angeklagten, für die Weiterentwicklung des deutschen Computerstrafrechts,
für wirksame Lösungen bei der Bekämpfung der Kinderpornographie
und für die Entwicklung des Internet, das die zukünftige globale
Informationsgesellschaft prägen wird. Dieser Verantwortung möchte
ich mich ebenfalls stellen: Deswegen bin ich heute hier. Und am Tisch der
Verteidigung sitze ich, weil sich die hier verlesene Anklage gegen die
falsche Person richtet und auf Mißverständnissen beruht:
Die Verteidigung will diese Mißverständnisse der Anklageschrift
richtig stellen. Sie sucht das Verständnis des Gerichts und der Staatsanwaltschaft,
weil das Verständnis dieses Falles und der technischen Zusammenhänge
zum Freispruch des Angeklagten führen muß. Die folgende Einlassung
für Herrn Somm legt dazu die maßgeblichen Gesichtspunkte dar.
Da der Fall neuartige technische und rechtliche Fragen aufwirft, muß
sie dazu etwas weiter ausholen als in anderen Fällen, wenn sie den
Anspruch von Herrn Somm auf rechtliches Gehör zur Anklage gerecht
werden soll.
II. Erklärung für den Angeklagten:
Der maßgebliche Sachverhalt und seine rechtliche Beurteilung
Für das Verständnis des vorliegenden Falles ist entscheidend,
daß im Internet drei Funktionen klar voneinander unterschieden
werden und der Aufgabenbereich von Herrn Somm diesen Funktionen richtig
zugeordnet wird: Damit ein Nutzer - im vorliegenden Fall war dies die bayerische
Kriminalpolizei - Kinderpornographie abrufen kann, braucht man in einem
offenen Computernetz mindestens drei Funktionsträger: den Content-Provider,
den Access-Provider und den Service-Provider:
-
Der Content-Provider oder Inhaltsanbieter ist die Person, die Information
produziert oder zur Verfügung stellt. Sie ist - wenn Kinderpornographie
angeboten wird - der eigentliche Straftäter.
-
Der Access-Provider oder Zugangsvermittler ist die Person, die dem
Nutzer den Zugang zum Computernetz vermittelt. Bei Access-Providern werden
die Daten dabei nur - in Sekundenbruchteilen - durchgeleitet.
-
Der Service-Provider steht zwischen diesen beiden Personen: Bei
ihm sind die Daten zumindest für eine gewisse Zeit auf sog. Servern
gespeichert.
Die Unterscheidung dieser drei Funktionen der Content-, Access- und Service-Providers
sowie ihrer rechtlichen Verantwortlichkeit ist der Schlüssel zum Verständnis
des vorliegenden Falles. Diese drei Funktionen sind deswegen hier in bezug
zur Tätigkeit von Herrn Somm zu setzen.
1. Die Content-Provider der angeklagten
Inhalte
Zunächst zu den Content-Providern der in der Anklage genannten Inhalte:
Die Content-Provider oder Inhaltsanbieter, die Informationen produzierten
oder in Computernetzen zur Verfügung stellten, waren - bei dem Anklagepunkt
II.1 - die Urheber der pornographischen Daten in den Newsgroups bzw. -
in den Anklagepunkten II.2 und 3 - die Urheber der indizierten Spiele.
Diese Personen sind die eigentlichen Täter. Sie müssen
innerhalb des Geltungsbereichs der deutschen Strafgerichtsbarkeit und des
Geltungsbereichs der Entscheidungen der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Schriften mit Nachdruck verfolgt werden. Für
sie gilt: Was offline strafbar ist, muß auch online strafbar sein
und verfolgt werden. Die seit Mitte letzten Jahres geltende Bestimmung
von § 5 Abs. 1 Teledienstegesetz formuliert dies zutreffend. Zitat:
"Diensteanbieter sind für eigene Inhalte, die sie zur Nutzung
bereit halten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich."
Herr Somm war unbestritten kein derartiger Inhaltsanbieter. Er verabscheut
kinderpornographische Inhalte ebenso wie Sie auch - um diese Klarstellung
bittet er ausdrücklich. Er hat während seiner Zeit als Geschäftsführer
der deutschen CompuServe GmbH alles ihm Mögliche getan, um die Anbieter
kinderpornographischer Inhalte zu verfolgen, zu identifizieren und vor
Gericht zu bringen. Die Akte des vorliegenden Falles bestätigt dies,
vor allem weil sie viele Randermittlungen enthält: Sie zeigt zahlreiche
Vorgänge, in denen die von Herrn Somm geführte deutsche CompuServe
GmbH die Polizei bei der Ermittlung von Urhebern strafbarer Inhalte unterstützte.
Herr Somm hat diese Unterstützung bei Anfragen der Polizei stets engagiert
erteilt und nicht - was sein Recht gewesen wäre - auf richterlichen
Anordnungen bestanden oder sich auf die Straffreiheit des Access-Providers
im Hinblick auf diese Inhalte berufen.[1]
Mit diesen Inhaltsanbietern hatte Herr Somm - von ihrer Bekämpfung
und Verfolgung abgesehen - daher nichts zu tun! Er befand sich eindeutig
auf der Seite der Strafverfolgung, die er durch seine Kooperation oft erst
ermöglichte.[2]
2. Der Access-Provider deutsche CompuServe
GmbH
a) Technische Grundlagen und Aufgaben
von Herrn Somm
Herr Somm und die deutsche CompuServe GmbH standen nicht nur in der Sache
auf der Seite der Strafverfolgung: Auch funktionell waren sie weit von
den Urhebern der Kinderpornographie entfernt. Als Access-Provider
vermittelte die deutsche CompuServe GmbH den deutschen Nutzern einen Zugang
zu internationalen Computernetzen, der sowohl Daten aus dem internationalen
(proprietären) Angebot der amerikanischen CompuServe Inc. umfaßte,
als auch einen Zugang zum Internet. Diese - vom Angeklagten in bestimmten
Umfang verantwortete - Funktion des Access-Providers ist dadurch gekennzeichnet,
daß der Access-Provider Daten nicht speichert, sondern nur
die erforderliche Kommunikationsstruktur für den Datenabruf schafft,
ohne aber dabei auf die Inhalte Einfluß zu nehmen. Beim Access-Provider
werden die Daten dabei - in der Form von simplen Nullen und Einsen - nur
in Sekundenbruchteilen durchgeleitet.
b) Straflosigkeit von Herrn Somm aufgrund
von § 5 Abs. 3 TDG
Diese - von Herrn Somm ausgeübte Funktion der Zugangsvermittlung -
ist nach der klaren Regelung von § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes
bzw. § 5 Abs. 3 des Mediendienstestaatsvertrags eindeutig straflos.
Zitat des Gesetzestextes: "Diensteanbieter sind für fremde Inhalte,
zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht
verantwortlich." Genau diese Bestimmung gilt - nach § 2 Abs. 3 StGB
auch rückwirkend - für die deutsche CompuServe GmbH und Herrn
Felix Somm.[3]
Mit dieser Feststellung könnte das vorliegende Verfahren beendet werden.
Da diese gesetzliche Regelung in dem vorliegenden Verfahren bisher noch
nicht verstanden oder akzeptiert wurde, muß allerdings noch auf die
Gründe eingegangen werden, die hinter § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes
stehen und die im übrigen - auch ohne die gesetzliche Spezialregelung
- zur Straflosigkeit von Herrn Somm führen würden.[4]
c) Die Begründung des § 5 Abs.
3 TDG
Hinter der eindeutigen gesetzlichen Regelung von § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes
stehen im wesentlichen drei Gründe:
Straflosigkeit von sozial nützlichem
Verhalten
Der erste Grund für die Straflosigkeit der bloßen Zugangsvermittlung
- und damit auch für Herrn Somm - ist rechtlicher Art. Er beruht darauf,
daß wir sozial nützliches Verhalten nicht bestrafen, auch wenn
es von dritten Personen zur Begehung von Straftaten ausgenutzt wird: Über
99% der Inhalte des Internet sind - ebenso wie die Daten der propietären
Foren der amerikanischen CompuServe Inc. - nicht nur rechtmäßig,
sondern meist auch nützlich. Wertvolle Informationen, die früher
unerreichbar schienen, sind heute mit Hilfe von Computernetzen oft nur
einen "Mausklick" entfernt! Aus diesem Grunde ist die Rolle eines Zugangsvermittlers
zu diesen Inhalten, grundsätzlich sozial wünschenswert. Sie wird
in Deutschland auch durch staatliche Zuschüsse gefördert - in
Bayern beispielsweise in Form des Bürgernetzes.
Ein strafbares Tun ist diese Zugangsvermittlung des Access-Providers
zu fremden Daten deswegen nicht, auch dann nicht, wenn der Access-Provider
im Einzelfall von dritten Personen zum Transport rechtswidriger Daten mißbraucht
wird. Die deutsche Justiz verfolgt auch nicht den bayerischen Ministerpräsidenten,
weil er der Bevölkerung mit dem Bayerischen Bürgernetz Zugang
zum Internet gewährt. Dasselbe gilt für den Vorstandsvorsitzenden
der Deutschen Telekom, wenn über dessen Telefonleitungen einmal Verbrechen
verabredet oder Sex-Dienste angeboten werden. Sie verurteilt ebensowenig
den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Lufthansa, weil deren Bangkok-Flüge
auch von Sex-Touristen benutzt werden. Auch der Vorstandsvorsitzende von
Mercedes Benz wird nicht etwa deshalb bestraft, weil seine Autos gelegentlich
als Tatmittel zum Abtransport von Diebesgut mißbraucht werden. Derartige
Mißbräuche werden dem Verantwortlichen einer sozial nützlichen
Infrastruktur grundsätzlich nicht mehr zugerechnet.[5]
Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit
von Zugangskontrollen bei Access-Providern
Der zweite Grund für die von § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes
garantierte Straflosigkeit des bloßen Access-Providing von Herrn
Somm ist technischer Natur: Er liegt darin, daß das Recht nicht etwas
fordern kann, was technisch unmöglich, unzumutbar oder unsinnig ist.
Die in der Anklageschrift geforderten Filtermaßnahmen sind dies jedoch,
nicht nur für Herrn Somm im konkreten Fall, sondern ganz allgemein:
Die fehlende Kontrollmöglichkeit der Zugangsvermittlung beruht nicht
nur wie im vorliegenden Fall auf dem konkreten X.25-Netz, das nur aus einfachen
Telefonvermittlungsrechnern bestand und z.B. nicht die unmittelbare Anbindung
an das Internet mit SLIP- oder PPP-Protokollen bot. Anschaulich formuliert
bedeutet dieser technische Sachverhalt: Die Forderung einer Inhaltskontrolle
in einem X.25-Netz ist mit der Forderung an eine taubstumme Telefonistin
zu vergleichen, sie möge den weltweiten Telefonverkehr in über
150 verschiedenen Sprachen überwachen.[6]
Vielmehr ist es ganz allgemein technisch nicht möglich, die im
Internet übertragenen riesigen Datenmengen beim Access-Provider (insbesondere
in Echtzeit) zu kontrollieren: Im Internet laufen heute über die gleichen
Netzknoten nicht nur News, sondern - in zahlreichen, oft unbekannten und
verschlüsselten Formaten - private Post, Geschäftskorrespondenz,
Kreditkarteninformationen usw. Schon der gesunde Menschenverstand müßte
die Unmöglichkeit verdeutlichen, all diese Dateninhalte - in Echtzeit
(!) - lesbar zu machen, zu kontrollieren und strafbare Inhalte auszufiltern.
Soll der Zugriff eines deutschen Nutzers z.B. auf amerikanische Informationsangebote
denn erst erfolgen, nachdem die abgerufenen Daten - sofern überhaupt
technisch realisierbar - von einem Kontrolleur geprüft worden sind?
Sollen auch die ca. 300 unabhängigen Access-Provider in Deutschland
blockiert werden, welche die gleichen Zugangsmöglichkeiten vermitteln?
Wie will man die Tausende offener Telefonleitungen kontrollieren, die Verbindungen
zu ausländischen Access- und Service-Providern ermöglichen?[7]
Solche Kontrollen sind unmöglich! Dies gilt auch für den Bereich
der Newsgroups, da deutsche Nutzer bei einer Sperrung von Newsgroups auf
deutschen Servern problemlos - z.B. über den WWW-Dienst - in Echtzeit
auf zahlreiche ausländische (z.B. englische oder amerikanische) Newsserver
zugreifen können, wenn der WWW-Zugriff und andere Dienste nicht ebenfalls
kontrolliert werden, was einfach nicht möglich ist. Das Kontrollkonzept
der Anklageschrift ist deswegen mit dem Versuch gleichzusetzen, den Ozean
mit der Hand ausschöpfen zu wollen. Ist dem Verfasser dieser Anklageschrift
überhaupt bewußt gewesen, mit welcher Hybris er hier ein gigantisches
technisches Kontrollkonzept vorgeschlagen hat?
Freier Datenverkehr ohne Totalüberwachung
Es geht aber nicht nur um ein technisch unmögliches Kontrollkonzept:
Zu dem technischen Gesichtspunkt kommt drittens ein rechtspolitischer Grund:
Eine entsprechende Kontrolle des internationalen Datenverkehrs wäre
aus gesellschaftlichen Gründen gar nicht wünschenswert: Weil
die gleichen Netzknoten nicht nur News übermitteln, sondern z.B. auch
private Post, Geschäftskorrespondenz oder Kreditkarteninformation,
würde eine effektive Kontrolle der übermittelten News eine Gesamtkontrolle
all dieser Daten erfordern. Es ist einfach falsch, wenn die Staatsanwaltschaft
in ihrer Stellungnahme darauf hinweist, man bräuchte nur die strafbaren
Inhalte zu kontrollieren. Weil man den Datenpaketen im Internet ihren Inhalt
nicht ansieht, müßte vielmehr der gesamte Datenverkehr über
die Netzknoten überprüft werden. Dies bedeutete eine Totalüberwachung
der Bürger und der Wirtschaft, die in der Volksrepublik China zwar
erfolglos versucht wird, für eine Demokratie jedoch unvorstellbar
ist und gegen international verbürgte Menschenrechte verstoßen
würde.[8]
Es stellt sich deswegen erneut die Frage: Ist sich der Verfasser der Anklageschrift
bewußt gewesen, welch totalitäres Konzept einer Totalüberwachung
seine Forderung bedeutet?
Den geschäftsmäßigen Erbringern von Tekekommunikationsdiensten
ist es gemäß § 85 des Telekommunikationsgesetz aus guten
Gründen untersagt, "sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige
Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderliche Maß hinaus
Kenntnis vom Inhalt ... der Telekommunikation zu verschaffen." und dienstliches
Wissen für andere Zwecke zu verwenden oder weiterzugeben.[9]
Ist sich der Verfasser der Anklageschrift bewußt gewesen, daß
sein Kontrollkonzept - konsequent durchgeführt - auch gegen den Schutz
des Fernmeldegeheimnisses und elementare Grundsätze des Datenschutzes
verstoßen würde, die derartige Kontrollen gerade verhindern
wollen?
d) Konsequenzen
Kennt man diese - hinter § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes stehenden
- technischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, dann
wird der zentrale Vorwurf der Anklageschrift (Seite 14) abwegig.
Zitat aus der Anklageschrift: "Für den Angeschuldigten wäre es
... zumutbar gewesen, nach Kenntnis der strafrechtlich einschlägigen
Bereiche des Datennetzes diese aus dem Datenfluß durch die Installation
geeigneter technischer Geräte herauszufiltern. ... So hätte er
den Datenfluß aus den USA über eine elektronische Datenverarbeitungsanlage
in Deutschland lenken können, die den Zugriff auf bestimmte Dateibereiche
verhindert (sog. Firewall-Rechner)." Diese Ausführungen widersprechen
nicht nur § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes. Sie sind - gerade im
Bereich eines X.25-Netzes - technisch unhaltbar. Sie beruhen auf einer
Ideologie der Totalüberwachung, die wir sonst nur in totalitären
Staaten finden und die wir - auch mit dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses
und dem Datenschutz - in Deutschland verhindern wollen.
Der Gesetzgeber war jedenfalls klug beraten, als er aufgrund der dargestellten
Gründe in § 5 Abs. 3 Teledienstegesetz klarstellte, daß
Diensteanbieter - wie die deutsche CompuServe GmbH - für die bloße
Zugangsvermittlung nicht verantwortlich sind. Da ich bei der Entwicklung
von § 5 des Teledienstegesetzes sowohl das Bundesforschungsministeriums
als auch den zuständigen Parlamentsausschuß beraten habe, kann
ich Ihnen dazu versichern, daß die Straflosigkeit der Zugangsvermittlung
in § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes auch den Zweck haben sollte,
im konkreten Fall einen Sachverständigenstreit darüber zu vermeiden,
ob Kontrollen bei der Zugangsvermittlung vielleicht im Einzelfall noch
möglich gewesen wären: Der Gesetzgeber wollte beim Zugangsvermittler
keine derartigen Kontrollen und wollte auch keine Diskussion über
die Zumutbarkeit einzelner Kontrollmaßnahmen. Der Gesetzgeber wollte
- ohne wenn und aber - einen freien unkontrollierten Datenverkehr! Und
er hat dies auch eindeutig im Gesetz geregelt: "Diensteanbieter sind
für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung
vermitteln, nicht verantwortlich."
Die - damit wohl begründete - Normierung von § 5 Abs. 3 des
Teledienstegesetzes bedeutet für das vorliegende Verfahren: Sobald
feststeht, daß die deutsche CompuServe GmbH strafbare Dateninhalte
nicht speicherte, sondern mittels eines X.25-Netzes nur einen Zugang zu
amerikanischen Servern vermittelte, muß Herr Somm von der vorliegenden
Anklage freigesprochen werden. Weiterer Beweiserhebungen bräuchte
es nicht.
3. Der Service-Provider CompuServe Inc.
in den USA
a) Technische Grundlagen und rechtliche
Anknüpfung
Das Gericht hat die Anklage allerdings mit einem zusätzlichen rechtlichen
Hinweis auf eine Mittäterschaft von Herrn Somm zugelassen. Es sieht
deswegen möglicherweise noch eine weitere klärungsbedürftige
Frage, nachdem ich in meinem Rechtsgutachten vom 7. Juli 1997 das von der
Anklageschrift geforderte "Filterkonzept" ad absurdum führte. Diesem
Hinweis des Gerichts auf eine mögliche Mittäterschaft dürfte
folgendes zugrundeliegen:
Neben der Funktion des Content-Providers (d.h. des Urhebers) und des
Access-Providers (d.h. des Zugangsvermittlers) steht im Internet noch der
Service-Provider, der die - für ihn fremden - Daten des Content-Providers
auf seinen Servern speichert. Dieser Service-Provider war im vorliegenden
Verfahren nach den Feststellungen der Ermittlungsbeamten die amerikanische
CompuServe Inc., die Muttergesellschaft der deutschen CompuServe GmbH.
Für das Gericht stellt sich deswegen wohl noch die - über die
Anklage hinausgehende - Frage, inwieweit Herr Somm eventuell für mögliche
Verstöße der Mitarbeiter der amerikanischen CompuServe Inc.
verantwortlich ist. D.h.: Inwieweit haftet der Geschäftsführer
einer untergeordneten Tochtergesellschaft in Deutschland für Verstöße,
die möglicherweise in seiner Muttergesellschaft in den USA erfolgten?
Ansatzpunkt für die hierfür erforderliche Prüfung von
möglichen Straftaten in der Muttergesellschaft CompuServe Inc.
ist dabei die Tatsache, daß der Service-Provider - anders als der
Access-Provider - Daten nicht nur durchleitet, sondern längerfristig
speichert und sie deswegen löschen kann, wenn er sie konkret kennt.
Derartige Löschungen bei konkreter Kenntnis des Speicherortes
rechtswidriger Inhalte (z.B. der jeweiligen News und der Newsgroup) sind
für den Service-Provider - anders als für den Access-Provider
- technisch meist kein Problem.
Pro-aktive Kontrollen zur verläßlichen Ermittlung dieser
Inhalte sind allerdings auch für den Service-Provider aufgrund
der Massenhaftigkeit und der raschen Änderung der Daten im Ergebnis
kaum möglich: Ein effektiver Newsserver enthält heute bis zu
45.000 Newsgroups mit mehreren Millionen von Einzelnachrichten. Bei größeren
deutschen Service-Providern werden pro Tag News übermittelt, die dem
Inhalt von täglich 20.000 Strafverfahrensakten entsprechen. Die in
den Newsgroups gespeicherten Inhalte ändern sich laufend. Eine heute
überprüfte und als rechtmäßig beurteilte Newsgroup
kann bereits wenige Stunden nach der Überprüfung rechtswidrige
Inhalte enthalten. Gesperrte Newsgroups werden - z.B. durch Ergänzung
eines Buchstabens - geringfügig umbenannt oder gar getarnt und deren
Inhalte sind somit wieder verfügbar. Sperrungen von Newsgroups haben
im übrigen auch deswegen nur eine begrenzte Wirksamkeit, weil der
Nutzer für einen Zugriff auf die gesperrte Newsgroup innerhalb seiner
Newsreader-Software nur einen anderen frei zugänglichen Newsserver
eintragen muß, der sämtliche Newsgroups zum Abruf bereitstellt.
§ 5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes bestimmt deswegen, daß
Service-Provider für die von ihnen gespeicherten fremden Daten nur
bedingt und begrenzt verantwortlich sind. Zitat des Gesetzes: "Anbieter
sind für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nur verantwortlich,
wenn sie von diesen Inhalte Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich
und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern." Nach der ganz herrschenden
Ansicht bedeutet "Kenntnis" aufgrund der eindeutigen Formulierung im Gesetz
sicheres Wissen in der Form des dolus directus unter Ausschluß des
dolus eventualis. Die Kenntnis der rechtswidrigen Inhalte muß dabei
so konkret sein, daß sie eine Datenlöschung unschwer ermöglicht.[10]
Diese Begrenzung der Verantwortlichkeit von Service-Providern wird dabei
verständlich, wenn man die - vom Gesetzgeber berücksichtigte
- Massenhaftigkeit des Datenaufkommens und die relative Unwirksamkeit von
- selbst aufwendigen - Sperrmaßnahmen kennt.[11]
b) Fehlende strafrechtliche Verantwortlichkeit
von Herrn Somm
Da § 5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes eine begrenzte Verantwortlichkeit
des speichernden Service-Providers vorsieht, spricht das Gericht im Eröffnungsbeschluß
zutreffend noch die folgende Frage an, die über das "chinesische Filterkonzept"
der Anklage hinausgeht: Wurde möglicherweise durch einen Mitarbeiter
der amerikanischen CompuServe Inc. eine Straftat nach deutschem Recht begangen,
und ist es möglich, daß Herr Somm Gehilfe oder Mittäter
dieser Straftat ist? Diese Frage ist zwar im Ansatz berechtigt. Sie ist
jedoch im vorliegenden Fall - aus mindestens vier unabhängig voneinander
bestehenden Gründen - zu verneinen:
Verbot der Umgehung von § 5
Abs. 3 TDG
Der erste Grund gegen eine Beihilfe oder Mittäterschaft von
Herrn Somm zu Straftaten von Mitarbeitern der amerikanischen CompuServe
Inc. liegt in § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes, der den Access-Provider
straflos stellt: Mit der Tätigkeit eines jeden Access-Providers ist
es untrennbar verbunden, daß er auch die Infrastruktur schafft, die
im Einzelfall Straftaten von Service- und Content-Providern ermöglicht.
Wenn § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes gleichwohl den Access-Provider
grundsätzlich Straflosigkeit garantiert, so gilt dies auch für
die mit jedem Access-Providing notwendig verbundene Unterstützung
von möglichen Straftaten des Service- und Content-Providers.[12]
Es wäre eine Umgehung der gesetzlich garantierten Straflosigkeit des
Access-Providers, wenn seine Strafbarkeit - quasi durch eine Hintertür
- mit einer Beihilfe- oder Mittäterkonstruktion im Hinblick auf Handlungen
des Service- und Content-Providers begründet werden könnte. Die
Garantie der straffreien Zugangsvermittlung in § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes
ist hier die speziellere Norm, die nach ihrem klaren Wortlaut Straflosigkeit
garantiert.[13]
Der Gesetzgeber hat auch die Grenzen dieses Vorrangs von § 5 Abs.
3 des Teledienstegesetzes für eine Beihilfe- oder Mittäterlösung
gesehen: Er hat dazu die extreme Fallkonstellation genannt, daß -
wörtliches Zitat - "ein bekannter in Deutschland wohnender Extremist
als Zugangsprovider in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit
Extremisten im Ausland ausschließlich den Zugang zu deren
extremistischen Inhalten anbietet, deren Verbreitung in Deutschland möglicherweise
strafbar ist."[14]
Mit diesem Fallbeispiel haben die Firmen CompuServe GmbH und CompuServe
Inc. nichts zu tun. Sie gingen nicht über das sozial übliche
Access-Providing hinaus und schafften kein erhöhtes Strafbarkeitsrisiko.
Im Gegenteil: Sie vermittelten grundsätzlich rechtmäßige
Inhalte und gehörten zu den Vorreitern einer Bekämpfung strafbarer
Inhalte in Computernetzen.
Fehlende Beihilfe- oder Täterhandlung
von Herrn Somm
Der zweite - nicht nur rechtlich, sondern vor allem auch moralisch entscheidende
- Grund gegen eine Strafbarkeit von Herrn Somm als Gehilfe oder Mittäter
von Mitarbeitern der amerikanischen CompuServe Inc. liegt in folgendem:
Sowohl eine Verurteilung wegen Beihilfe als auch wegen Mittäterschaft
würde voraussetzen, daß Herr Somm Straftaten im Bereich der
CompuServe Inc. objektiv unterstützte. Dies war nicht der Fall:
Auch bei mehrfachem Lesen der Anklageschrift findet sich kein einziger
Satz, der konkrete Handlungen von Herrn Somm nennt, die nicht sozial
nützlich (und durch § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes ausdrücklich
erlaubt!) waren, sondern die Verbreitung von Pornographie förderten.
Im Gegenteil: Herr Somm bekämpfte strafbare Inhalte vehement. Er bat
mich, dazu insbesondere die folgenden Tatsachen vorzutragen, die auch in
meinem Rechtsgutachten dargelegt sind:[15]
-
Herr Somm unterstützte - wie erwähnt - die bayerische Polizei
bei all ihren Ermittlungen gegen die Urheber strafbarer Inhalte.
-
Er war nicht nur Geschäftsführer eines Tochterunternehmens des
weltweit ersten Online-Dienstes, der spezielle Internet-Sperrsoftware entwickelte,
sondern er unterstützte mit einem Aufwand (allein der deutschen CompuServe
GmbH) in Höhe von mehr als 1 Millionen DM die Entwicklung von Kontrollsytemen
wie Cyberpatrol, Parental Control und PICS.[16]
-
Er meldete darüber hinaus - obwohl dazu weder nach altem Recht noch
nach § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes verpflichtet - alle ihm bekannt
gewordenen rechtswidrigen Inhalte sofort an die amerikanische CompuServe
Inc. mit der Bitte um entsprechende Sperrung. Die Herrn Somm im November
1995 persönlich zur Kenntnis gebrachten fünf Newsgroups mit kinderpornographischen
Inhalten wurden auf seine Veranlassung hin sofort von der amerikanischen
CompuServe Inc. gesperrt und auch nie wieder eröffnet. Die ihm von
der bayerischen Kriminalpolizei am 8. Dezember 1995 genannten 282 Newsgroups
mit möglicherweise jugendgefährdenden Inhalten wurden von ihm
ebenfalls mit der Bitte um entsprechende Sperrung sofort an die amerikanische
CompuServe Inc. übermittelt und dort - mit Ausnahme der offensichtlich
fehlerhaften Benennungen - zunächst ebenfalls sämtlich gesperrt.
Konkrete Hinweise auf rechtswidrige Newsgroups erhielt Herr Somm von den
Ermittlungsbehörden dann über ein Jahr lang bis zur Anklageerhebung
nicht mehr. Als er erstmals wieder im Dezember 1996 durch eine Privatperson
von möglicherweise strafrechtlich relevanten Inhalten auf den Servern
der amerikanischen CompuServe Inc. erfuhr, setzte er sich wieder sofort
bei der amerikanischen CompuServe Inc. für deren Sperrung ein, die
auch erfolgte.
-
Hinzu kommt eine Besonderheit, die das vorliegende Ermittlungsverfahren
fast makaber macht: Die von Herrn Somm geleitete deutsche CompuServe GmbH
überlies ihren Mitgliedern zum Zeitpunkt der angeklagten Taten eine
Zugangssoftware, mit der Bilder überhaupt nicht betrachtet
oder heruntergeladen werden konnten. Die bayerischen Polizeibeamten mußten
- damit sie die in der Anklageschrift genannten Bilder ansehen konnten
- den von der deutschen CompuServe GmbH ihren Mitgliedern zur Verfügung
gestellten Newsreader gegen einen anderen Newsreader - z.B. der Firma Netscape
- austauschen. D.h.: Die Polizei umging den standardmäßigen
Newsreader der CompuServe Zugangssoftware, die der Angeklagte den deutschen
Mitgliedern der CompuServe GmbH zur Verfügung stellte, weil die strafbaren
Bilder mit dieser Infrastruktur der Firmen CompuServe GmbH und CompuServe
Inc. gar nicht hätten beschafft werden können. Die Anklageschrift
stellt jedoch gerade auf das Überlassen der Zugangssoftware ab. Wenn
es hier nicht um eine zugelassene Anklage zum Amtsgericht München
gehen würde, könnte man meinen, in einem schlechten Kriminalfilm
zu sitzen!
Eine zusammenfassende Betrachtung ergibt damit, daß Herr Somm für
die deutschen Internet-Benutzer das Risiko einer Verbreitung pornographischer
Inhalte nicht erhöht, sondern durch zahlreiche Aktionen entscheidend
vermindert hat. Herr Somm hat sich mit seinem Verhalten nicht nur sozial
nützlich verhalten, sondern - vor allem im Vergleich mit sonstigen
Access-Providern - Straftaten sogar in besonderer Weise erschwert.
Eine Unterstützung möglicher Straftaten in den USA durch positives
Tun kann Herrn Somm damit (ganz abgesehen von § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes)
nicht vorgeworfen werden. Ein "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" - wie dies
für die Abgrenzung von Tun oder Unterlassen gefordert wird - liegt
in seinem Tun ganz sicher nicht.
Als möglicher Vorwurf bliebe damit wieder allein eine Unterstützung
möglicher fremder Straftaten durch das Unterlassen von Kontrollmaßnahmen.
Dieser Vorwurf scheitert jedoch - wie erwähnt - nicht nur an technischen,
sondern auch an rechtlichen Gründen: Weder das alte noch das neue
Recht kennt eine derartige Pflicht der deutschen CompuServe GmbH, die Herr
Somm gemäß § 14 StGB hätte erfüllen müssen.[17]
Damit bleibt nichts, was hier angeklagt werden könnte. Denn auch
eine Verurteilung wegen Beihilfe oder Mittäterschaft entbindet nicht
davon, ein vorwerfbares (und nicht nur sozial nützliches) positives
Tun oder aber - im Falle des Unterlassens - eine Garantenpflicht von Herrn
Somm festzustellen.
Fehlende Vorsatztat im Bereich der
amerikanischen CompuServe Inc.
Beihilfe oder Mittäterschaft des Angeklagten zu Straftaten der Angestellten
der amerikanischen CompuServe Inc. scheitern darüber hinaus an einem
dritten Grund. Sowohl die Beihilfe als auch die Mittäterschaft
würden eine vorsätzlich begangene Tat eines Angestellten der
amerikanischen CompuServe Inc. voraussetzen, die dem Angeklagten zugerechnet
werden kann. Aufgrund des - für Service-Provider geltenden - §
5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes wäre dabei der Eventualvorsatz eines
amerikanischen Mitarbeiters nicht ausreichend, sondern Kenntnis (dolus
directus[18])
im Sinne von § 5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes erforderlich. Diese
Kenntnis muß sich auf den konkreten rechtswidrigen Inhalt
beziehen, wobei sich unter anderem die Frage stellt, ob alleine die Kenntnis
des Namens einer Newsgroup ausreichend im Sinne des § 5 Abs. 2 des
Teledienstegesetzes ist, da Newsgroups unter Umständen hunderte von
einzelnen Artikeln beinhalten. Diese Frage kann hier allerdings offen bleiben,
da eine vorsätzliche Tat von Angestellten der amerikanischen CompuServe
Inc. mit Kenntnis der rechtswidrigen Inhalte weder objektiv noch subjektiv
ersichtlich ist:
-
Auch die amerikanische Muttergesellschaft CompuServe Inc. und ihre Mitarbeiter
haben sich um eine Sperrung der strafbaren Inhalte bemüht: Als der
Angeklagte die Liste mit 282 möglicherweise jugendgefährdenden
Inhalten übermittelte, wurden diese Newsgroups zunächst alle
gesperrt. Harmlose Newsgroups - wie das Diskussionsforum "alt.sex.senator-exxon"
des amerikanischen Senators Exxon zur Bekämpfung von
Kinderpornographie - wurden später wieder freigegeben, die
übrigen Newsgroups, die zu diesem Zeitpunkt keine harte Pornographie
enthielten, allerdings erst nach Zur-Verfügung-Stellung der genannten
Kinderschutzprogramme Cyberpatrol, Parental Controls und PICS. Newsgroups
mit festgestellter Kinderpornographie blieben gesperrt. Mit der Bewertung
von Inhalten wurde die unabhängige Firma Microsytems betreut, die
auch beim Rating für das Zugangskontrollsystem PICS federführend
ist.
-
Hiergegen spricht nicht, wenn die in der Anklageschrift genannten bayerischen
Kriminalbeamten in der Folgezeit kinderpornographisches Material auf den
Servern der amerikanischen CompuServe Inc. abrufen konnten. Dies kann -
selbst bei identischen Newsgroupsnamen - vielfältige Gründe haben.
Ich will insoweit nur ein einfaches Beispiel für diese technischen
Fragen geben: Obwohl die Newsgroups zum Zeitpunkt ihrer Freigabe durch
die CompuServe Inc. Anfang 1996 keine strafbaren Inhalte aufwiesen, so
schließt dies nicht aus, daß sie später bei der polizeilichen
Recherche mit Kinderpornographie infiziert waren: Die Inhalte der Newsgroups
ändern sich laufend. Die Newsgroup darf deswegen nicht
mit der konkreten News verwechselt werden, die der Diensteanbieter
gemäß § 5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes kennen muß.
Hinter einem Newsgroup-Namen steht regelmäßig eine Vielzahl
verschiedener News, die laufend ausgetauscht werden: Einzelne Newsgroups
des Internet - wie beispielsweise die Newsgroup "alt.jobs" - führen
(in einer einzigen Newsgroup!) über 40.000 einzelne News. Die
282 in der polizeilichen Liste genannten Newsgroups enthielten deswegen
Zehntausende einzelner News. Da sich diese News etwa alle 10 Tage änderten,
dürften in den von der Polizei genannten 282 Newsgroups im Verlauf
der etwa einjährigen Ermittlungen mehrere Millionen verschiedener
News gespeichert gewesen sein. Ein Schluß von der 1996 festgestellten
Pornographie auf einen fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Verstoß
von Mitarbeitern der amerikanischen Firma CompuServe Inc. ist daher völlig
unzulässig! Ein nur fahrlässiges Verhalten von Mitarbeitern der
amerikanischen CompuServe Inc. wäre für die Strafbarkeit des
Angeklagten im übrigen ohne Belang: Fahrlässiges Verhalten könnte
ihm weder im Wege der Beihilfe noch der Mittäterschaft zugerechnet
werden.[19]
Auf das Erfordernis einer vorsätzlichen Straftatbegehung innerhalb
der amerikanischen CompuServe Inc. könnte man bei einer "Zurechnung"
fremder Straftaten nur dann verzichten, wenn Herr Somm amerikanische Straftäter
in der Form der "mittelbaren Täterschaft" wie willenlose Werkzeuge
beherrscht und gesteuert hätte. Dies scheidet hier jedoch eindeutig
aus: Im vorliegenden Fall hat vielleicht die Muttergesellschaft CompuServe
Inc. ihre deutsche Tochtergesellschaft CompuServe GmbH gesteuert; der Geschäftsführer
der Tochterfirma CompuServe GmbH beherrschte jedoch sicher nicht die Muttergesellschaft!
Eine vom Gericht im Eröffnungsbeschluß möglicherweise erwogene
mittelbare Täterschaft von Herrn Somm scheidet deswegen aufgrund der
gleichen Wertungsgesichtspunkte aus wie die von der Staatsanwaltschaft
nachträglich zur Rechtfertigung ihrer Anklage konstruierte Unternehmenseinheit
von Mutter- und Tochtergesellschaft.[20]
Beide Konstruktionen würden gegen elementare Grundlagen des Wirtschaftsrechts
und der Unternehmenspraxis verstoßen: Denn die Muttergesellschaft
kann die Tochtergesellschaft beherrschen, aber nicht umgekehrt!
Damit ist festzustellen: Es fehlt auch an einer vorsätzlichen Straftat
innerhalb der amerikanischen CompuServe Inc., die Herr Somm im Wege der
Beihilfe oder der Mittäterschaft zugerechnet werden könnte.[21]
Fehlender Vorsatz von Herrn Somm
Die Konstruktion einer Beihilfe oder Mittäterschaft des Angeklagten
zu Straftaten im Bereich der amerikanischen CompuServe Inc. scheitert aber
nicht nur an der gesetzlichen Regelung von § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes,
an der fehlenden Unterstützungshandlung des Angeklagten und an der
fehlenden Vorsatztat von Angestellten der amerikanischen CompuServe Inc.,
sondern viertens auch am fehlenden Vorsatz des Angeklagten bezüglich
der Unterstützung einer entsprechenden Straftat in den USA: Der Angeklagte
ging davon aus, daß die amerikanische CompuServe Inc. die ihr gemeldeten
strafbaren Inhalte sperrte und sorgfältig prüfte. Er wußte,
daß die amerikanische CompuServe Inc. mit der Überprüfung
von Inhalten die angesehene amerikanische Firma Microsystems beauftragt
hatte, welche an der Entwicklung der führenden Zugangskontroll-Architektur
PICS beteiligt war. Mit dem Newsreader-Programm der CompuServe-Zugangssoftware
konnte er selbst - anders als die bayerischen Polizeibeamten mit anderen
News-Readern - Bilder in den Newsgroups überhaupt nicht prüfen.
Begrenzte Reichweite des deutschen
Verwaltungsrechts und des deutschen Strafrechts
Angesichts dieser klaren Rechtslage soll hier auf die Diskussion von weiteren
Problemen verzichtet werden, die sich bei einer Beihilfe- oder Mittäterschaftskonstruktion
vor allem im Hinblick auf die Anklagevorwürfe II.2 und 3 stellen würden.
Ich deute deswegen nur noch kurz an:[22]
-
Will die Anklage - was im Falle einer Beihilfe- oder Mittäterschaftskonstruktion
zwingend erforderlich wäre - ernsthaft die verwaltungsrechtlichen
Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften auf das Territorium der USA und der anderen mehr als 150 Staaten
mit Internet-Zugang erstrecken? Sollen die im Bundesgesetzblatt Deutschlands
in deutscher Sprache veröffentlichten Entscheidungen der Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Schriften in mehr als 150 Staaten gelesen
und beachtet werden? Soll Entsprechendes für eventuelle Indizierungsentscheidungen
von Behörden anderer Staaten gelten? Müssen deutsche Internet-Service-Provider
dann aus den gleichen Gründen auch die Indizierung christlicher Inhalte
durch islamische Staaten beachten? All diese Fragen müßten bejaht
werden, wollte man dem Angeklagten statt des - in der Anklageschrift genannten
- unterlassenen Filterversuchs in Unterhaching bei München nunmehr
eine Beihilfe oder Mittäterschaft zu einer vorsätzlich begangenen
rechtswidrigen Haupttat in den USA vorwerfen, nachdem man die Unrichtigkeit
der Anklage erkannt hat.
-
Eine derartige Gehilfen- oder Mittäterschaftslösung würde
darüber hinaus ganz allgemein auf Grenzen der Reichweite der deutschen
Strafgerichtsbarkeit stoßen: Soll - außerhalb von § 6
Nr. 6 StGB - der Erfolg einer Straftat in Deutschland eintreten, wenn ein
amerikanischer Service-Provider - nach amerikanischen Verhältnissen
rechtmäßige - Daten in den USA speichert, die dann von deutschen
Polizeibeamten in den USA abgerufen und nach Deutschland geholt werden?
-
Hinzu kommt die Frage: Warum hielten die Ermittlungsbeamten ihre Kenntnis
über konkrete News mit Kinderpornographie ein Jahr lang geheim? Eine
einfache konkrete Mitteilung der strafbaren News mit Nennung der Newsgroup
an den Angeklagten hätte sofort zur Löschung dieser Inhalte geführt,
genauso wie dies bei dem ihm 1995 mitgeteilten fünf Newsgroups der
Fall war. Warum wurden keine verwaltungsrechtlichen Polizeiverfügungen
im Hinblick auf die in der Anklageschrift genannten Inhalte erlassen? Ich
habe die Akte des vorliegenden Strafverfahrens deswegen auch mit immer
größer werdendem Erstaunen gelesen: Hier wurden von einer ganzen
Abteilung der Polizei unter Nutzung des Netzzuganges der deutschen CompuServe
GmbH - über Monate! - nur Pornobilder aus dem Internet gesammelt.
Niemand kam auf die Idee, die Dauerstraftaten der Urheber zu stoppen. Und
vor allem dachte anscheinend niemand darüber nach, wer für diese
Inhalte die rechtliche Verantwortung trägt. Nicht einmal die gesetzliche
Neuregelung von § 5 des Teledienstegesetzes im Jahre 1997 gab Anlaß
zu einer Prüfung dieser Frage. Ich will auf die Aktivitäten der
Polizeibeamten nicht näher eingehen, da ich Ermittlungsmaßnahmen
der Polizei im Internet - auch im internationalen Rahmen - rechtspolitisch
unterstütze. Die Bekämpfung der Kinderpornographie durch die
Polizei verdient grundsätzlich Unterstützung, auch wenn die Strafverfolgungsbehörde
im Einzelfall bei einer neuen Problemstellung einmal den falschen Ansatz
wählt. Dieses Verständnis darf aber nicht so weit gehen, daß
jetzt in dieser Hauptverhandlung - trotz besserer Kenntnis - weiterhin
die falsche Person verfolgt wird.
III. Zusammenfassung und Beweisanregungen
1. Zusammenfassung
Damit ist zusammenfassend in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
festzustellen:
-
Der Angeklagte war nicht Urheber der in der Anklage bezeichneten
strafbaren Daten. Die Strafverfahrensakte beweist vielmehr an zahlreichen
Stellen, daß der Angeklagte die bayerische Polizei bei der Verfolgung
der Urheber intensiv unterstützte.
-
Der Angeklagte vermittelte vielmehr als Access-Provider dem deutschen
Nutzer nur einen Zugang zu amerikanischen Informationsangeboten.
Er übte damit genau die sozial wünschenswerte Tätigkeit
aus, die in Bayern durch die Staatsregierung gefördert wird. Zum Einbau
von Filterprogrammen war er nach der eindeutigen Regelung von § 5
Abs. 3 TDG nicht verpflichtet. Eine Filterung der übermittelten Daten
in Echtzeit wäre im übrigen auch technisch nicht möglich
gewesen, wie das chinesische Beispiel zeigt: auch nicht in einem Überwachungsstaat.
-
Es ist auch keine positive Handlung des Angeklagten festzustellen,
die über das durch § 5 Abs. 3 TDG ausdrücklich für
rechtmäßig erklärte Access-Providing hinausgeht und eine
Verbreitung strafbarer Inhalte durch Mitarbeiter des amerikanischen Service-Providers
CompuServe Inc. förderte. Im Gegenteil: Der Angeklagte wirkte der
Verbreitung von strafbaren Inhalten über Server der amerikanischen
CompuServe Inc. nach besten Kräften entgegen: durch die Verfolgung
der Urheber strafbarer Daten, durch die Entwicklung von Kinderschutzsoftware,
durch die Übermittlung der Daten bekannt gewordener Inhalte zum Zweck
der Sperrung. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe oder Mittäterschaft
scheitert deswegen nicht nur an § 5 Abs. 3 TDG, der die Straflosigkeit
der Handlungen des Angeklagten ausdrücklich garantiert. Sie scheidet
vor allem wegen seines fehlenden Tatbeitrags aus. Im übrigen fehlt
es an einem Vorsatz des Angeklagten für eine derartige Förderung,
an einem Vorsatz des Angeklagten im Hinblick auf eine möglicherweise
vorsätzliche Straftat der amerikanischen Mitarbeiter; darüber
hinaus auch am Nachweis der vorsätzlichen Tat eines amerikanischen
Mitarbeiters nach § 5 Abs. 2 TDG, zu der Beihilfe oder Mittäterschaft
hätte geleistet werden können. Ob die Mitarbeiter des amerikanischen
Service-Providers CompuServe Inc. in der Umbruchsituation des Jahres 1996
fahrlässig Sperrmaßnahmen unterließen, spielt für
das vorliegende Strafverfahren keine Rolle: Nach der deutschen Strafrechtsdogmatik
gibt es keine Beihilfe und keine Mittäterschaft an einer fahrlässigen
Tat.
Auch eine für die amerikanische CompuServe Inc. möglicherweise
geltende Handlungspflicht nach § 5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes
hat der Angeklagte nicht verletzt, da derartige Pflichten gemäß
§ 14 StGB nur für die Mitarbeiter der amerikanischen CompuServe
Inc. galten. Der Angeklagte hatte auch keine rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten
auf die Handlungen der amerikanischen CompuServe Inc.
Zusammengefaßt: Hier wird die falsche Person verfolgt und für
Inhalte haftbar gemacht, für die sie nicht verantwortlich ist!
2. Beweisanregungen
Der Angeklagte Felix Somm und die Verteidigung bitten das Gericht deswegen,
im Wege der Beweisaufnahme zunächst festzustellen, daß die in
der Anklage bezeichneten Bilder und Texte niemals auf Servern der deutschen
CompuServe GmbH gespeichert waren, die als bloßer Zugangsvermittler
gemäß § 5 Abs. 3 TDG nicht für fremde Inhalte verantwortlich
ist. Wenn dies - z.B. durch das Gutachten des bayerischen Landeskriminalamtes
- feststeht, sollte der Angeklagte bereits freigesprochen werden.
Darüber hinaus könnte - über die Anklageschrift hinausgehend
- noch Beweis darüber erhoben werden, daß der Angeklagte keine
Tätigkeit vornahm, die über das - gemäß § 5 Abs.
3 TDG ausdrücklich für straflos erklärte - Access-Providing
hinausging. Bisher ist keine derartige Handlung ersichtlich. Die in der
Akte enthaltenen (und dort mehrfach abgelegten) Bilder sind keinerlei Beweis
für ein entsprechendes Verhalten des Angeklagten. Sie wurden von den
bayerischen Polizeibeamten in über einjähriger Sammeltätigkeit
aus den USA nach Deutschland abgerufen, wozu sogar das Newsreader-Programm
der amerikanischen CompuServe Inc. ausgetauscht werden mußte. Entsprechende
Bilder sind in gleicher Weise über andere Access-Provider beschaffbar,
die von den Betreibern der Newsserver völlig unabhängig sind.
3. Bedeutung des Verfahrens
Der amerikanische Supreme-Court stellte in seiner viel beachteten Entscheidung
des Jahres 1997 zur Verfassungswidrigkeit des amerikanischen "Communication
Decency Acts" fest, daß das Interesse an einem freien Meinungsaustausch
in einer demokratischen Gesellschaft bei weitem die theoretischen Vorteile
einer möglichen Zensur des Internet übersteigt. Aus diesem Grunde
wurde die erstinstanzliche Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit
der Strafbestimmung des amerikanischen Communication Decency Acts von 1996
bestätigt. Diese beiden Entscheidungen haben weltweit Beachtung und
Zustimmung gefunden.
Für Deutschland wäre ein ähnliches Urteil wünschenswert.
Es wäre zu wünschen, daß Deutschland für die Entwicklung
des Internet mehr beizutragen hat als die Strafverfolgung von Access-Providern,
die für die übermittelten Inhalte nicht verantwortlich sind.
Das vorliegende Strafverfahren bietet dazu die Möglichkeit.
München, den 12. Mai 1998
(Prof. Dr. Ulrich Sieber)
Anlagen
1. Skizze zum technischen Zusammenwirken von Nutzer, Access-Provider, Service-Provider
und Content-Provider im Internet
2. Gesetzestext und Auszug aus den Gesetzesmaterialien zu § 5 TDG
Fußnoten:
[1] Sieht
man diese Unterstützungsmaßnahmen von Herrn Somm für die
Strafverfolgungsbehörden, kennt man darüber hinaus die zahlreichen
Initiativen der CompuServe Deutschland GmbH zur Verhinderung pornographischer
Inhalte und hört man Herrn Somms Einstellung zur Kinderpornographie,
dann erscheint es befremdlich, wenn die Anklageschrift Herrn Somm im Hinblick
auf diese Inhalte Gewinnstreben unterstellt.
[2]Die
Straffreiheit von Herrn Somm im Hinblick auf eine Unterstützung dieser
Urheber scheitert daher nicht nur an der ausdrücklichen Regelung von
§ 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes, die das reine Access- und Network-Providing
für straflos erklärt (vgl. dazu näher unten II.3.b "Verbot
der Umgehung von § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes"). Es fehlt für
diese Urheber - noch sehr viel deutlicher als im Hinblick auf die unten
erörterten Mitarbeiter der amerikanischen CompuServe Inc. - vor allem
auch an einer - über § 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes hinausgehenden
- Unterstützungshandlung von Herrn Somm sowie darüber hinaus
an einem entsprechenden Vorsatz von Herrn Somm.
[3] Das
gleiche Ergebnis der Straflosigkeit des Access-Providing ergab sich auch
schon nach altem Recht, weil dem Access-Provider nicht sein sozial-nützliches
positives Tun vorzuwerfen ist, sondern allenfalls das Unterlassen von Kontrollmaßnahmen,
für deren Vornahme ihn jedoch keine Garantenpflicht trifft. Vgl. dazu
näher mein Gutachten für das vorliegende Strafverfahren vom 4.
Juli 1997, S. 52 ff., 57 ff.
[4] Vgl.
dazu Sieber, JZ 1996, 429 ff., 494 ff. (499 ff.).
[5] Vgl.
dazu Sieber, JZ 1996, 429 ff., 494 ff. (499 ff.).
[6] Vgl. dazu
mein Gutachten für das vorliegende Strafverfahren vom 4. Juli 1997,
S. 100 f.
[7] Vgl.
dazu näher Sieber, CR 1997, 581 ff., 653 ff. (658 ff.).
[8] Vgl.
dazu Sieber, CR 1997, 581 ff., 653 ff. (658 ff.).
[9]Vgl.
dazu näher § 85 Abs. 3 TKG: "Den nach Absatz 2 Verpflichteten
ist es untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige
Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderliche Maß hinaus
Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation
zu verschaffen. Sie dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem
Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck
verwenden. Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere
die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder
eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich
auf Telekommmunikationsvorgänge bezieht. Die Anzeigepflicht nach §
138 des Strafgesetzbuches hat Vorrang.
[10] Vgl.
dazu näher Sieber, CR 1997, 581 ff., 653 ff. (667).
[11] Damit
rechtswidrige Inhalte dennoch - und zwar möglichst weltweit - von
den Servern heruntergenommen werden, bemüht sich die Europäische
Kommission zur Zeit um ein internationales System von Kontaktpunkten, in
welchem Polizeidienststellen und private Anzeigenerstatter den Service-Providern
aktuell die notwendigen Kenntnisse für die Löschung rechtswidriger
Daten international übermitteln. Die Ermittlungsbehörden sollen
ihre Erkenntnisse dabei nicht - wie im vorliegenden Fall - anderthalb Jahre
in einer Akte sammeln, sondern mit den Service-Providern zum Zwecke der
Löschung rechtswidriger Inhalte zusammenarbeiten. Wenn wir - neben
der besseren Verfolgbarkeit der Urheber - die implizite Löschungsverpflichtung
von § 5 Abs. 2 TDG für die Service-Provider international durchsetzen,
wenn wir diese internationalen Kontaktpunkte schaffen und wenn wir - auch
in codes of contact - zu einer Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden
und Informationsindustrie kommen, dann kann die Bekämpfung der Kinderpornographie
in internationalen Datennetzen wirksam werden.
[12]
Dabei darf es grundsätzlich auch keine Rolle spielen, daß zwischen
Access- und Service-Provider vertragliche Beziehungen bestehen, denn nach
dem Wortlaut von §§ 3,5 des Teledienstegesetzes bzw. §§
3,5 des Mediendienstestaatvertrags kann sogar eine einzige natürliche
Person alle Funktionen wahrnehmen, also gleichzeitig Content-, Service-
und Access-Provider sein. § 5 des Teldienstegesetzes knüpft damit
nicht an eine konkrete Person an, sondern an die jeweilig bestimmte Funktion
innerhalb eines offenen Computernetzes.
[13] Im
Hinblick auf eine Beihilfe oder Mittäterschaft zu Straftaten der Content-Provider
ist dieses Argument noch eindeutiger, da insoweit ebenfalls nur das von
§ 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes erlaubte Access-Providing vorlag.
[14]
Vgl. BT-Drucks. 13/7385 vom 9.4.1997 zu Nr. 5, S. 70 sowie die zugrundeliegende
Fragestellung BR-Drucks. 966/96 vom 21.2.1997, S. 5 (Nr. 5). Näher
dazu meine Anmerkungen zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft München
I vom 30.10.1997, S. 9.
[15]
Vgl. zum folgenden näher mein Rechtsgutachten in dem vorliegenden
Strafverfahren vom 4. Juli 1997, S. 35 ff.
[16]
Mit der Software "Cyberpatrol" der Gesellschaft Microsystems können
CompuServe-Mitglieder - vor allem Eltern - auf den heimischen Computern
Zugriffe ihrer Kinder auf bestimmte Inhalte sperren; "Cyberpatrol" wurde
in die deutsche Sprache übersetzt und an alle deutschen CompuServe-Mitglieder
kostenlos ausgeliefert. Im proprietären Dienst entwickelte die Firma
CompuServe Inc. - mit Unterstützung durch den Angeklagten - die eigene
proprietäre Kontrollsoftware für Eltern, "Parental Controls";
auch Parental Controls wurde ins Deutsche übersetzt und konnte von
allen CompuServe-Benutzern eingesetzt werden. Auch bei der Entwicklung
der Kontrollmechanismen von PICS (Platform for Internet Content Selection),
den Grundlagen für ein Rating-System, agierte der Angeklagte in vorderster
Front.
[17]
Eventuelle Pflichten der amerikanischen CompuServe Inc. sind dagegen -
wie § 14 StGB eindeutig sagt - keine Pflichten des Angeklagten. §
14 StGB stellt hinsichtlich der Überwälzung von Pflichten eines
Unternehmens auf die Unternehmensmitarbeiter auch eine eindeutige und nicht
erweiterungsfähige Rechtsgrundlage dar.
[18]Vgl.
dazu oben 3.a.
[19]
Aus diesem Grunde reicht es auch nicht aus, die geladenen Sachverständigen
zu befragen, ob die Mitarbeiter der amerikanischen CompuServe Inc. die
Newsgroups auf ihren Servern hätten sperren können. Eine
Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe oder Mittäterschaft setzt
vielmehr voraus, daß die Mitarbeiter der CompuServe Inc. kinderpornographische
Inhalte im Sinne von § 5 Abs. 2 des Teledienstegesetzes vorsätzlich
nicht sperrten. Dies ist nicht ersichtlich. Die dürftige Ermittlungsakte
läßt insoweit überhaupt keinen Schluß zu, da sie
sich auf das Sammeln von Bildern beschränkte, wobei nicht einmal bemerkt
wurde, daß die gleichen Bilder mehrfach abgelegt wurden. So kann
vielleicht die - offenkundige - Tatsache vereinzelter Pornographie im Internet
nachgewiesen werden, aber nicht eine Verantwortlichkeit des Angeklagten
Felix Somm oder auch nur der amerikanischen CompuServe Inc.!
[20]Vgl.
dazu meine Anmerkungen zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft München
I vom 30.10.1997, S. 6 ff.
[21]
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der Service-Provider
nach amerikanischem Recht objektiv noch sehr viel weitgehender privilegiert
ist als nach deutschem Recht. Dies braucht wegen des fehlenden Vorsatznachweises
hier jedoch nicht vertieft zu werden. Vgl. dazu näher Section 230
Communications Decency Act von 1996; United States District Court for the
District of Columbia, Blumenthal vs. Drudge and AOL (<http://www.techlawjournal.com/courts/drudge/
80423opin.htm>, zuletzt abgerufen am 30.04.1998); vgl. auch United States
Court of Appeals for the fourth Circuit, Zeran vs. AOL (Urteil vom 12.11.1997,
<http://techlawjournal.com/ courts/zeran/71112opn.htm>, zuletzt abgerufen
am 30.04.1998).
[22]
Vgl. dazu näher mein Rechtsgutachten in dem vorliegenden Strafverfahren
vom 04.07.1997, S. 108 ff.